Sabine Eichner Russisch

Sabine Eichner Während ich in der Nähe von Hamm in Westfalen aufwachsen musste, streifte mich die Musik zunächst in Gestalt einer Blockflötenlehrerin, die in ihrem Bügelzimmer Unterricht erteilte, indem sie zu allem mit dem Fuß den Takt klopfte und von uns Schülerinnen dasselbe verlangte.

Klassische Musik war in unserem Haushalt etwas Magisches für mich - mein Vater drehte den Radioregler weiter, sobald von "opus" die Rede war und meine Mutter fürchtete um die Schulnoten, wenn ich länger als gewünscht übte.

Ich träumte davon, Cello zu spielen. Mit 12 Jahren wünschte ich mir alle Cellosuiten von Bach in der Aufnahme mit Pablo Casals.

Doch wurde mir eine Querflöte zugestanden, ich absolvierte eine vorberufliche Fachausbildung und verbrachte vier Nachmittage pro Woche glücklich in der Musikschule.

Bis zum Abitur war ich Mitglied im Collegium Musicum Werl.

In den Adventskonzerten beobachtete ich die singenden Solistinnen, die unser Orchester begleitete und hatte den Eindruck, dass Singen etwas sehr Kompliziertes und Aufwändiges sein müsse. Und etwas Unberechenbares, das man nur mit allerlei Vorbereitungen, speziellen Tees und Ritualen bewerkstelligen könne.

Ich bestand die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule Detmold und war völlig perplex, als man mir dort nach kurzem Vorsingen zum Gesangsstudium riet.

Mein gutes Abitur wurde mir zum Entscheidungshelfer, denn desorientiert begann ich etwas - wie ich damals glaubte - ganz Konträres. Ich studierte Zahnmedizin und später noch Gesang dazu.

Ich wurde ausgebildet von Prof. Peter Ziethen (Münster), Prof. Ingeborg Dobozy (Feldkirch), Prof. Mechthild Georg (Köln) und durch Christa Waltjen, die nach der "Schule der Stimmenthüllung" arbeitete.

Hellmuth Eichner 1989 zog ich nach Bonn. Von 1998 bis 2016 war ich Mitglied des Extrachores der Oper Bonn. Damals gab es die Reihe "bonn chance" in der Bundeskunsthalle - ich sang in mehreren Produktionen Solo. Diese Reihe wurde eingestellt, nicht, weil ich dort sang ??, sondern weil sie zu der Kategorie Aufführungen gehörte, die stattfanden, weil Subventionen verwertet werden mussten. Zu den Premieren erschienen alle wichtigen Zeitungen, die den Feuilletonlesern berichteten, was diese auf Dinereinladungen erzählen sollten. Publikum erschien nicht, außer einer Person: Hellmuth Eichner, Maler und Bildhauer und seit 1993 mein Mann.

Ich interessierte mich sehr für russische Musik und besonders für Liedgesang. Es reizte mich, die Poesie mit der Lautlichkeit zu verbinden. Das empfand ich spannender als Opernrollen.

Mein Repertoire umfasste um 1993 besonders Lieder von Schumann, Brahms, Mozart, Debussy - ich sang Sopran.

Meine besonders bewunderten Vorbilder waren Yma Sumac und Maria Callas.

Ivan Sokolov und Sabine Eichner Ich erarbeitete eine völlig neue Fassung der "Winterreise" von Franz Schubert, ordnete die Lieder in ganz anderer Reihenfolge und führte meine Fassung mehrfach mit dem aus Moskau stammenden Pianisten Ivan Sokolov auf.
Unser Künstler in der Winterreise begann seinen Weg beim Leiermann und kehrte auch dorthin zurück, nicht gebrochen, sondern sich bewusst, dass ein Leben als Künstler nur weit weg vom Dorf gedeihen kann.
Mit Sokolov gestaltete ich das "Buch der hängenden Gärten" von Schönberg und führte es 2005 im Kammermusiksaal des Beethovenhauses auf.
Wir gaben Abende auf Burgen und Schlössern im Rheinland mit Werken von Poulenc, Debussy, Duparc, Faure, Mussorgsky, Rachmaninoff und Schostakowitsch. Besonders die letzten Lieder op.107 von Schostakowitsch nahmen wir gern in unsere Programme.
Ein weiteres wichtiges Konzert war 2009 das "Marienleben" von Hindemith, das wir in Basel und 2010 im Rheinischen Landesmuseum Bonn im Rahmen der großen Marienausstellung darboten.
2012 waren wir erneut im Kammermusiksaal zu Gast mit Liedern von Hindemith und Schubert.

Zwischen 2008 und 2014 gab ich regelmäßig Konzerte in Amsterdam im Geelvinck-Salon. Dort lernte ich den Pianisten Stephen Faber kennen, der mich bei einem dieser Konzerte begleitete, später auch im Frauenmuseum Bonn. Das Konzert war ein Abend "Nur Schubert".

2012 gab ich gemeinsam mit Ivan Sokolov mehrere Liederabende in Moskau im Zwetaeva-Museum und im Lermontov-Haus.
Zum ersten Mal erlebte ich, wie dort Konzerte organisiert wurden, manchmal auch kurzfristig. Und das Publikum war sehr gemischt, gesellschaftlich und auch altersbezogen. Man sah Alte und Kinder, ganze Familien und die Herzlichkeit, das Interesse an der Musik waren hinreißend.

2014 produzierte ich einen Film, in dem ich über das Leben mit Hellmuth Eichner berichtete und die wichtigsten Werke aufnahm, die ich bis dato mit Sokolov musiziert hatte. Den Film "Mein Leben" kann man erwerben.

2014 sang ich das "Marienleben" in der Namen-Jesu-Kirche Bonn, am Flügel begleitete Olga Paschenku.

2016 hatte ich mit stimmgesundheitlichen Problemen zu kämpfen.

Ich lernte den Musiker Johan Nemez kennen und fand große Freude am Improvisieren mit Gesang und Cello. Bei diesen Improvisationen fiel auf, dass meine bis dahin völlig brach liegende tiefe Lage sehr gut und authentisch klingt. Ich begann, diese Lage mehr auszubauen und auch Literatur zu singen, die sehr tief liegt.

Inzwischen lehne ich es ab, meine Stimme einem "Fach" zuordnen zu lassen. Und ich singe meine Gesänge in den Lagen, in denen sie gut klingen bzw. am besten zur Geltung kommen.

2019 gestaltete ich ein Konzert im Bonner Frauenmuseum anlässlich Clara Schumanns Geburtstag. Auf dem Programm standen Lieder von Clara in sehr tiefer Lage sowie "Haugtussa" von Edvard Grieg - ein viel zu selten aufgeführtes Werk. In der Hamburger Laieszhalle sang ich diese Lieder ebenfalls 2019...

Igor Horvat und Sabine Eichner Im Oktober 2020 gestaltete ich einen Abend im Rahmen des Beethovenjahres, erneut im Bonner Frauenmuseum. Mein Begleiter war Igor Horvat. Als Programm wählte ich die Mignon-Vertonungen aus dem Goethe-Roman "Wilhelm Meister", die ich in den Versionen von Schumann, Beethoven, Schubert und Wolf sang. Diese Lieder sind für mich etwas ganz Besonderes, weil Mignon eine Idealgestalt ist, zum einen eine begehrenswerte junge androgyne Frau, zum anderen ein Engel, der den Protagonisten mit einer Unantastbarkeit liebt und am Ende an gebrochenem Herzen stirbt, weil im Hier und Jetzt ganz andre Dinge scheinbar zählen.

Dieser heiße Wunsch nach vollkommener Liebe muss auch die Komponisten inspiriert und angetrieben haben. Ich nannte den Abend "Idealide - die geliebte Unerreichbarkeit".